KLAUS ROHRMOSER
Autor - Regisseur - Schauspieler - Theaterdirektor

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Autor
17 und 4
siebzehn
erotische Geschichten und vier Liebesbriefe

7 hoch 2
neunzndvierzig short stories

Roman in Vorbereitung

Dolores

Blasierte Küsse!

Küsse ohne Leidenschaft, ohne Nachdruck, ohne Wunsch!

Küsse die ihn selber küssen, nicht mich.

Was ist passiert?

Dolores bemüht sich, sie versucht verzweifelt, die Qual dieser Fragen zu mildern. Sie geht zurück zum Schiff. Drei Monate zurück auf das Schiff mit dem Tanzdeck. Es ist weit nach Mitternacht und sehr warm, die bunten, kleinen Glühbirnen rund um die Tanzfläche sind an und auf den winzigen Tischen brennen Kerzen. Nur mehr eine Hand voll Gäste und die Band hat die letzten drei Nummern schon angekündigt. Dolores will so früh wie möglich Schluss machen heute. Sie beginnt die Tische abzuräumen und die leeren Gläser einzusammeln. Die Kerzen lässt sie noch brennen. Kerzen veredeln die Nacht. Ihr Vater hat das immer gesagt und ganz viele angezündet. Von der kerzenbeleuchteten Terrasse in die schwarze Nacht hinaus träumen war ihre Lieblingsbeschäftigung damals. Die Hazienda war das Paradies ihrer Kindheit und in der Erinnerung ist sie es immer noch. Das kleine Meer von Lichtern auf dem Tanzdeck hat sie für ein paar Momente dorthin zurück geholt, ins verlorene Paradies.

Nur mehr  zwei Tische sind besetzt und die Band beendet das vorletzte Stück. Dolores ist müde und hofft, dass keiner von den letzten Gästen noch etwas bestellt. Der Tisch mit dem älteren Ehepaar löst sich gerade auf und geht zur Ruhe. Nur noch der einzelne Herr im weißen Leinenanzug trinkt seinen letzten Schluck. Dolores geht zu ihm, nimmt das Glas und fragt ihn, ob er noch einen Wunsch hat. " Zwei Wünsche ", meint der Herr, " erstens möchte ich mein Glas wiederhaben, da ist nämlich noch ein kleiner Schluck drin und zweitens müssen sie mir den letzten Tanz schenken! " Dolores ist für eine Sekunde total verwirrt, dann stellt sie das Glas wieder vor ihn hin und stammelt eine Entschuldigung. Der Herr lächelt, trinkt den wirklich letzten Schluck, steht auf, nimmt ihre Hand und beginnt mit ihr zu tanzen. Dolores lässt es ohne Gegenwehr geschehen. Sie denkt einen Augenblick, dass es dem Personal auf dem Schiff verboten ist mit den Gästen auf diese und einige andere Arten zu kommunizieren, doch der Rhythmus in den er sie einspinnt und die Musik lassen sie nicht weiter denken. Um sie herum tanzen die Lichter und sie tanzt um die Lichter, als wäre sie eines von ihnen. Der Herr im weißen Anzug tanzt  wie ein Gott - Dolores kann vom ersten Schritt an völlig loslassen und ist tief geborgen in der Sicherheit seiner perfekten Führung. Als die Musik zu Ende geht, ist sie es die sich bedankt und der Herr antwortet mit einer formvollendeten Verbeugung und einem melodiösen " de nada ". Woher kann er wissen? Als hätte er ihre Gedanken gehört, sagt er: " Tut mir leid, ein kleiner Rest ihres kolumbianischen Akzents ist noch zu hören."

Dolores fragt sich, wie alt er wohl sein mag, vielleicht so im Alter ihres Vaters, vielleicht ein wenig jünger. Ihr Vater hat auch oft weiße Leinenanzüge getragen. Drei Abende hintereinander kommt er aufs Tanzdeck, meist sitzt er einige Stunden, trinkt zwei drei Gläser und schreibt immer wieder in ein kleines ledergebundenes Buch. Und am Ende schenkt sie ihm den letzten Tanz. In der dritten Nacht gehen sie zusammen in seine Kabine. Das Tanzen ist nur eine der Fähigkeiten, die er überdurchschnittlich gut beherrscht. Noch nie wurde sie so geküsst, von niemandem! Sie spürt etwas Tiefes und Glühendes, das von diesem Mann ausgeht und nur für sie bestimmt zu sein scheint. So,  als hätte er lange auf sie warten müssen und jetzt war sie endlich gekommen. Oder ist es umgekehrt? Hat nicht sie gewartet und er ist plötzlich da?

Am Tag als sie vom Schiff gehen, sind sie ein Paar und er bittet Dolores in sein Haus zu ziehen. Ihr Herr im weißen Leinenanzug ist ein bekannter Schriftsteller und hat Geld, richtig viel Geld. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Eltern und dem nachfolgenden Zwangsverkauf der Hazienda geht es Dolores wieder gut. Jemand kümmert sich um sie, verwöhnt sie, schenkt ihr jeden Tag eine frische Rose und am Morgen darf sie schlafen, so lange sie will. Immer wenn sie zusammen sind und das sind sie eigentlich Tag und Nacht, bittet er Dolores ihm alles über sich zu erzählen, alles! Nicht nur die äußeren Ereignisse ihres Lebens, nein er will vor allem ihre Gefühle und Gedanken erfahren. Vom ersten Tag an den sie sich erinnert bis heute. Gespannt wie ein Jagdhund sitzt er da und hört mit rückhaltlosem Interesse zu. Manchmal macht er Notizen von dem was sie erzählt - in seinem kleinen Buch. Sie solle bitte entschuldigen, das gehöre zu seinem Beruf und er müsse sich immer öfter Formulierungen und Details aufschreiben. Er sei nicht mehr der Jüngste, er würde sonst alles vergessen. Wenn sie müde wird, nimmt er sie in den Arm, küsst sie auf seine unvergleichliche Art und sie schlafen miteinander. Sie ist sehr, sehr glücklich.

Erst als das Buch, vor zwei Wochen erscheint, begreift Dolores. Er hat es für sie und über sie geschrieben. Auf dem Umschlag ist ein Bild auf dem man, wenn man will, Dolores erkennen kann - gemalt nach einem Foto von ihr, das er damals am Schiff

gemacht hat. Ihr Gesicht, das Meer und darunter in silberweißen Buchstaben der Titel:

" de nada ". Das Buch hat genau vierhundert Seiten. Dolores verschlingt es in einer Nacht und als es draußen hell wird, liegt sie wie betäubt am Bett. Als hätte er immer in mir gewohnt, denkt sie, als wäre er ein Teil von mir. Mit einem Mal sieht sie ihren Vater, wie er im weißen Leinenanzug auf der Terrasse der Hazienda die Kerzen anzündet.

" Kerzen veredeln die Nacht ". Der Satz steht auch im Buch. Er liegt schlafend neben ihr, sie schmiegt sich vorsichtig an ihn. Sie ist sehr glücklich. "Er ist der einzige der mir je zugehört hat " - ihre letzte verwischte Gedankenspur, bevor sie einschläft. Als sie ein paar Stunden später aufwacht, ist er weg. Aus dem Buch neben ihr auf dem Kopfkissen ragt ein Blatt Papier. Vier Tage wird er wegbleiben, sie möge ihm verzeihen. Das Buch habe viel Kraft gekostet, er braucht einen kleinen Tapetenwechsel. Sie macht sich einen Kaffee, setzt sich an den Küchentisch und liest das ganze Buch noch einmal, in einem Zug von der ersten bis zur letzten Seite.

Es werden sechs Tage. Sie bekommt es mit der Angst. Doch dann steht er im weißen Anzug in der Tür, in der Hand sechs Rosen, für jeden Tag eine. Er entschuldigt sich und  alles ist in Ordnung. Er streicht über ihren Kopf und küsst sie. In diesem Augenblick spürt sie es. Der Kuss ist nicht seiner. Und auch nicht ihrer, der sie meint. Er kommt nicht zu ihr, obwohl er nicht kürzer ist, als alle seine Küsse bisher. Sie küsst ihn und er küsst sie noch ein Mal. Sie hat sich nicht getäuscht. Seine Küsse haben keinen Wunsch mehr in sich. So als wären sie nur ein leeres Glas ohne Inhalt. Dolores wagt nicht zu fragen. Tagelang zerquält sie sich die Seele mit Theorien, was wohl geschehen sein könnte. Eine andere Frau?  Dolores hat ihn verletzt ohne es zu wollen? Oder etwas Unbekanntes. ein schreckliches Geheimnis, von dem sie nichts weiß?

Endlich findet sie den Mut und fragt ihn, ob er sie noch liebe, was denn los sei, bestimmt betrüge er sie mit einer neuen Frau! Er schweigt eine halbe Minute, dann sagt er: " Ja ich betrüge dich, es tut mir sehr leid Dolores, aber nicht mit einer neuen Frau, ich betrüge dich mit einem neuen Buch.

Copyright   Klaus Rohrmoser  2013