Autoren aus Nord- und Suedtirol zeigen beim 2. Tiroler Dramatikerfestival ihre neuesten Werke. Fuenf junge Dramatiker und eine weibliche Kollegin aus den beiden Landesteilen praesentieren zwischen 14. Mai und 2. Juli im Rahmen des im Zweijahresrhythmus organisierten Festivals mit sechs B?hnenproduktionen in Innsbruck und Gossensass Urauffuehrungen.

Die vom Land Tirol, Suedtirol und der Stadt Innsbruck gefoerderte Werkschau steht unter dem Patronat des Tiroler Landestheaters, dessen Schauspieldirektor Klaus Rohrmoser das Festival vor zwei Jahren gegruendet hat.

 Start ist am 14. Mai in den Kammerspielen mit "Raffl" von Thomas Gassner. Der Autor, der als Schauspieler und Regisseur am Landestheater und etlichen freien Buehnen arbeitet, bezeichnet sein Andreas-Hofer-Stück als *Heldenboulevard", während Regisseur Thomas Oliver Niehaus es auch als Tiroler Passion oder Burleske, als clowneskes Historien- oder Passionsspiel definiert. Dabei wird Gasssners Text mit der Musik aus Albert Lortzings Singspiel "Andreas Hofer" in der Bearbeitung durch den Dirigenten Michael Mader verknüpft. Mit dem "Raffl-Orchester" und dem Sistranser Chor singen und spielen Mitglieder des Opern- und Schauspielensembles. "Raffl" ist insgesamt sechs Mal zu sehen. >

Nicht nur ungewoehnliche Texte, auch unkonventionelle Spielorte gehoeren zum Konzept des Dramatikerfestivals. So sieht man ab 23. Mai in Gossensass (Suedtirol) Clemens Lindners von Klaus Rohrmoser inszenierte Urauffuehrung von "Gossensass", die Henrik Ibsens legendaere Aufenthalte im beruehmten Kurort behandelt.

Und im Innsbrucker Kulturgasthaus Bierstindl ist ab 19. Mai das Stueck "Pissoir" von Bernhard Aichner zu sehen, eine Urauff?hrung in der Regie von Thomas Gassner mit Johannes Nikolussi.

Drei Monologe der Suedtirolerin Margareth Obexer kommen unter dem Titel Von drei (un)-moeglichen Schritten ab 26. Mai im Innsbrucker Kellertheater in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Bruneck zur Urauffuehrung.

In der Hofgartengaertnerei geht dann ab 9. Juni Egon A.Prantls neues Stueck "virus.wueste.maenner" in Zusammenarbeit mit der Schauspielschule Sachers in Szene.

Ebenfalls im Innsbrucker Hofgarten - im Palmenhaus - findet das Stueck "Absolution" von Alois Hotschnig ab 18. Juni seine Spielstaette; Harald Krewer inszeniert die sechs Auffuehrungen.

Am 2. Juli schliesslich gibt es neue Karl Valentin-Texte von Walter Groschup und das Abschlussfest.    

Margareth Obexer, Ein Triptychon: F.O.B. Free on board. Liberté toujours. Hidden See.

Koeln: Hartmann & Stauffacher, 2004.

In dieser Konstellation wurden die drei Einakter erstmals im Stadttheater Bruneck und im Innsbrucker Kellertheater im Rahmen des 2. Dramatikerfestival des Tiroler Landestheaters 2004 gezeigt. Regie: Margareth Obexer, Mitwirkende Thordis Koenig, Irmgard Sohm und Lars Studer.p>

Unbekuemmert um die viel beschworene Krise des Dramas in der Postmoderne liefert die S?dtirolerin Margareth Obexer seit einigen Jahren gescheite, menschlich beruehrende und sprachlich ausgefeilte Texte - Texte, ueber die sich der Literaturfreund, der Theaterbesucher und auch der Schauspieler, der sich dankbare Rollen wuenscht, gleichermassen freuen. So ist es nicht verwunderlich, dass die junge Autorin einen Preis nach dem anderen einheimst und im Sturm die deutschen Buehnen erobert.

Obexer studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie und Romanistik. Sie besuchte die Klasse von Wolfgang Bauer an der Schule fuer Dichtung in Wien, die Autorenwerkstatt fuer Sprechtheater am Literarischen Colloquium Berlin, und war u.a. Stipendiatin der Akademie der freien Kuenste in Berlin und der Akademie Schloss Solitude. Sie lebt als freie Theater- und Hoerspielautorin in Berlin. Zu erwaehnen waeren ihre Stuecke Offene Tueren (Schillertheater Berlin, 2000), Gelbsucht (Theaterdock Berlin, 2001), F.O.B. Landestheater Tuebingen, 2002), Die Stoerung (Vereinigte Boehnen Bozen, 2003), Das Risiko (Landestheater Tuebingen, 2003), Decapitation Strike (Rotterdam, 2003), Die Liebenden (Landestheater Tübingen, 2004), Von Kopf bis Fuss (frueher: Liebesgefluester, Staedtische Buehnen Osnabrueck, 2004.) Fuer den Rundfunk uebersetzte, uebertrug und/oder bearbeitete sie u.a. Texte von Michel Tournier, Dacia Maraini und Ludovico Ariosto.

Das Triptychon besteht aus drei Monologien einer seit den spaeten 70ern besonders beliebten Gattung, bei der ein Adressat angesprochen wird, der stumm bleibt, bzw. das Publikum. (Siehe Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, Frankfurt a. M.: Verlag d. Autoren, 1999, S. 231-232.) Es gibt keine Handlung, nur Erzaehltes, Erinnertes und Reflexion. Die Sprecher sind zwei Frauen und ein Mann. Nur in Hidden See tritt kurz ein Kellner auf.

F.O.B. - Free on board (frei an Bord Versandhafen) ist eine Klausel aus der Geschaeftssprache, die bedeutet, dass der Lieferant jenen Teil der Transportkosten ?bernimmt, der bis zur Ankunft der Ware auf dem Schiff anfaellt. Im Stueck faellt dieser Terminus im Zusammenhang mit einem Vorgesetzten, dessen Inkompetenz sich u.a. darin zeigt, dass er nicht einmal die Incoterms (eben diese Klauseln) kennt. Inhaltlich geht es in F.O.B. um eine Stellenbewerbung, die mit einem Mord(versuch) endet. Frau Kreuzweg ist jung und hochqualifiziert, und scheitert dennoch immer wieder an den patriarchalischen Strukturen ihrer Berufswelt, die mit der Intelligenz, dem K?nnen, Selbstbewu§tsein und der Urteilsf?higkeit von Frauen nichts anfangen kann. Erfolge erzielt sie bezeichnenderweise nur mit einer Strategie des Schweigens und der Best?tigung von Vorgesetzten und ihrer F?higkeit, einen Krawattenknoten zu binden. Man koennte F.O.B. als Metapher fuer das Bis-hierher-und-nicht-weiter im Werdegang der Sprecherin interpretieren, aber als solche wuerden auch andere Incoterms dienen.

 

Der Titel Liberté toujours (Freiheit + immer) geht auf eine Zigarettenmarke, die in Deutschland verkauften Gauloises blondes, zurueck. (Pers. Mitteilung Obexer.) Dar?ber hinaus spielt das Wort liberté wohl auch ironisch auf die Internierung des Protagonisten in einer psychiatrischen Klinik an. Dort landet er auf Grund vorget?uschter Selbstmordabsichten, nachdem ihn seine ehrgeizige, neurotische Freundin hinausgeworfen hat und ein Hearing fuer eine Universit?ts-Assistentenstelle schiefgelaufen ist. Auch er ist menschlich sympathisch, hoch intelligent und durchaus geeignet f?r den Job.

 Beide Figuren scheitern also nicht wegen mangelnder Faehigkeiten oder einem Fehlverhalten, sondern fallen einer Art Darwinscher Selektion zum Opfer. it in dem (von Herbert Spencer übernommenen) Schlagwort Survival of the Fittest bedeutet bekanntlich nicht besser oder tuechtiger (im Sinn einer eigenständigen Perfektionsskala), sondern passend, in dem Sinn, wie ein Schluessel ins Schlo§ passt. (Siehe Charles Darwin, The Origin of Species, London: Penguin, 1968, S. 33-35, 116.) "Das Gremium entschied sich gegen eine endgueltige Uebernahme," heisst es etwa in .O.B.: "es geschah aus Gruenden der Harmonie, man befand, dass Sie... nun... nicht in die Harmonie unseres Teams hineinpassen..." (S. 5) und dem Assistenten in spe inLiberté toujours fehlen "die noetigen Zellen" (S. 20), die ihm die Wahrnehmung herrschenden Macht-Strukturen erlauben bzw. die Anpassung an sie ermoeglichen wuerden.:p>

 Der Titel Hidden See leitet sich zum einen von der Ostsee-Insel Hiddensee ab. (Pers. Mitteilung Obexer) Zum anderen vergleicht sich die Sprecherin selbst mit einem "versteckten See", der "von dieser Welt" sei und dennoch "keine Fragen" stelle. (S. 32) Sie ist eine sympathische, lebenslustige, altere Frau, die am Vorabend in dem Lokal, in dem sie sich auch jetzt befindet, einen Schwächeanfall erlitten hat. Der Kellner hält sie deshalb fälschlich für eine Alkoholikerin und verweigert ihr den bestellten Rum. An diese theatrale Situation knüpfen sich Reflexionen und Erzählungen, die an den homosexuellen Ex-Gatten, den Kellner, eine Verstorbene, die die Sprecherin gepflegt hat, und an das Publikum gerichtet sind. Die wichtigsten behandelten Themen sind die gesellschaftliche Situation älterer Menschen angesichts des grassierenden Jugendkults und wiederum - die faktische Ausgrenzung eines Menschen auf Grund eines persönlichen Credos und eines Verhaltens, das alle, die guten Willens sind, von Rechts wegen loben müss ten.>

 Das gemeinsame Thema in allen drei Teilen des Triptychons ist das Klaffen zwischen gesellschaftlich propagierten Werten - Intelligenz, Aufgeschlossenheit, positivem Denken, Toleranz gegenueber den Bedürfnissen anderer usw. - und dem Umstand, dass gerade Menschen, die diese Werte verinnerlicht haben und danach handeln, zu Einsamkeit und zum Scheitern verurteilt sind. Das bedeutet nicht, dass Margareth Obexers Stücke hoffnungslos stimmen. Ganz im Gegenteil man legt den Text zur Seite bzw. verlässt das Theater im Gefühl, Wesentliches über die Welt erfahren zu haben. 2004 STOL

 

 

Premiere von PISSOIR von Bernhard Aichner mit Johannes Nikolussi im Kulturgasthaus BIERSTINDL am 19. Mai 2004 Bernhard Aichner schickt seinen Helden nicht auf die Suche nach historischer Geschichte. "Pissoir" ist die faszinierende Geschichte einer wuetenden Irrfahrt, die tief hinein in das Vergessen führt, an einen Ort unlösbarer Widersprüche. Wir tragen Geschichte in uns, ob wir wollen oder nicht.>

"Pissoir" ist eine Kooperation zwischen Bierstindl und dem Tiroler Dramatikerfestival, das vor zwei Jahren von Schauspieldiretor Klaus Rohrmoser ins Leben gerufen wurde. Vor zwei Jahren zeigte das Bierstindl im Rahmen obgenannten Festivals das Stück "Tell it with a kiss" von Thomas Gassner, ein furioso teatrale, das keiner vergessen, der es gesehen hat.

 In der Rolle des Siegfried Garber ist nach Jahren der Abstinenz mit Johannes Nikolussi endlich wieder ein guter, alter Bekannter auf den Brettern der Bierstindlbuehne zu sehen Bernhard >

AICHNER Lebt als Schriftsteller und Fotograf in Innsbruck, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, Literaturpreis der Stadt Innsbruck und Brachland Literaturpreis des Landes Tirol. Bisher erschienen ist der Erzählband ÒBabalonÒ (Skarabäus 2000), im September 2004 erscheint sein erster Roman "Das Nötigste über das Glück" (Skarabäus)

Thomas GASSNER Lebt in Innsbruck, Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, inszenierte u.a. im Rahmen des Tiroler Literaturfestivals im Bierstindl sein eigenes Stück "Tell it with a kiss"; weitere Stücke: "coconut island", Lilly&Dan", "Die Angel La Perla-Show", (alle Rechte Litag Verlag/Bremen) und "Quien es?"; ab 14. Mai laeuft sein Stück "Raffl" an den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters; Prosa "Schrott&Korn", Roman (Skarab)

Johannes NIKOLUSSI Lebt in Innsbruck und Wien, jahrelang Mitglied des Tiroler Landestheaters, Engagements in Deutschland, New York und Wien, wirkte in vielen Filmen und Fernsehproduk-tionen mit, Sprecher